Wenn der Innenminister persönlich anruft, gibt es wahrscheinlich einen wichtigen Grund. Dann geht es um Sicherheit und Ordnung. Oder einen neuen Job, für den man sich nicht offiziell bewerben kann. Als Ursula Mecklenbrauck von Herbert Reul gefragt wurde, ob sie das Amt der Polizeipräsidentin in Krefeld übernehmen möchte, überlegte sie nicht lange und griff zu. Denn die 47-jährige Juristin und Verwaltungsexpertin scheut sich nicht, ihre Komfortzone zu verlassen und sich neuen Aufgaben zu stellen. Im Polizeipräsidium erklärte sie, warum sie keine Uniform trägt, wie ihr Arbeitsalltag aussieht und was sie beim THW gelernt hat.
„Hinterher ist man immer schlauer“, steht auf der Postkarte, die Ursula Mecklenbrauck an eine Wand geheftet hat. Zwei Playmobil-Figuren auf dem Tisch, ein Polizist und ein unrasierter Bankräuber, lassen schnell die üblichen Klischees beim Gedanken an eine Behörde vergessen. Denn Aktenberge und trockene Statistiken sind hier nicht zu sehen, stattdessen geht es humorvoll und menschlich zu im Büro der Polizeipräsidentin. Dass sie gern selbst anpackt, beweist die gebürtige Koblenzerin bereits bei der Bitte des Fotografen, die Jalousien für besseres Licht herunterzulassen. Vielleicht doch erst ein spontanes Shooting vor dem Streifenwagen im Hof? Kein Problem, den Latte Macchiato kann man auch lauwarm noch genießen. Die Vorgesetzte von rund 700 Menschen, die vor und hinter den Kulissen für die Krefelder Polizei tätig sind, strahlt eine interessante Mischung aus Kompetenz und Nahbarkeit aus. Und so kommen halt zwei junge Schutzpolizisten mit auf das nächste Bild, sanft überredet durch ein ansteckendes Lächeln der Chefin.
„Man muss Menschen mögen und authentisch bleiben“, erläutert Ursula Mecklenbrauck ihren Führungsstil. „Hinter jedem Vorgang und jeder Zahl steckt eine Person, die gehört und gesehen werden will. Wertschätzung, Offenheit und Vertrauen sind für mich die Grundpfeiler einer guten Zusammenarbeit.“ Eine Polizeipräsidentin sei für Verwaltungsabläufe verantwortlich: Organisation der Behörde, Personalwesen und Haushalt. Aber auch Fragen der Strategie, des Controllings und der Öffentlichkeitsarbeit gehörten zu den Aufgaben des Leitungsstabs. Wer jetzt glaubt, dass die Behördenleiterin jeden Tag nur im Büro verbringt, unzählige Vermerke liest, Sitzungen abhält und zwischendurch ein paar Hände schüttelt, täuscht sich gewaltig. Denn die zierliche Frau im dunkelblauen Business-Kostüm hat seit ihrem Amtsantritt jede einzelne Liegenschaft der Krefelder Polizei besucht und keine Berührungsängste gezeigt. „Ich war morgens um fünf Uhr bei der Verkehrskontrolle dabei, bin nachts im Streifenwagen mitgefahren, habe Helm und Weste anprobiert, die Post ausgetragen oder in der Werkstatt geschraubt“, fasst die studierte Juristin ihr selbst gewähltes Praktikum zusammen. „In NRW gilt das Prinzip der zivilen Führung: Bei der Besetzung des Amtes von polizeilichen Behördenleitern sollen grundsätzlich nicht Polizeibeamte, sondern Zivilpersonen ausgewählt werden, um die demokratische Kontrolle auch bei der Auswahl der obersten Führungskräfte zu versinnbildlichen. Insofern bin ich eine politische Beamtin und trage keine Uniform.“
Ihre wertschätzende Art komme bei den Kolleginnen und Kollegen sehr gut an, schwärmt Pressesprecher Christian Werle: „Sie hat jedem die Hand geschüttelt und dabei nicht nur Smalltalk geführt. Das ganze Team spürt, dass sie sich für unsere Arbeit interessiert und versteht, mit welchen Eindrücken wir uns täglich befassen müssen.“ Die Dankbarkeit ist ihm deutlich anzumerken. Doch Mecklenbrauck bricht die Lobeshymne bescheiden ab, es gibt schließlich noch Anekdoten zu erzählen. Der antike Mumienfuß, den ein Krefelder über eBay anbot, sei ein Highlight gewesen, erinnert sich die Polizeipräsidentin schmunzelnd. Genauso wie der untaugliche Bankräuber, der auffällig gekleidet eine Beratungsfiliale ohne Geld überfallen wollte. „Wir sind hier mitten im Leben: Jeden Tag passiert Trauriges, Lustiges oder Skurriles. Mit dieser Bandbreite an Emotionen hatte ich nicht gerechnet.“ Sie strahlt uns an, dann guckt sie wieder ernst, als sie von einem Besuch auf dem Theaterplatz berichtet: „Gesundheitsamt-Chefin Kirstin Lintjens und ich haben persönlich mit den Menschen dort gesprochen. Es war sehr berührend – all diese Geschichten, dass viele der Drogenabhängigen und Obdachlosen früher Familie hatten und durch Schicksalsschläge in eine Abwärtsspirale geraten sind. Ich sehe diesen Ort jetzt mit anderen Augen.“ Polizeiarbeit sei weder schwarz noch weiß, sondern komplex und facettenreich, betont Mecklenbrauck und zitiert aus dem Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Von Polizisten erwarte sie Professionalität und Respekt, auf der anderen Seite sollten Menschen ihre Probleme wie Armut oder Krankheit nicht als Entschuldigung für gesetzwidriges Handeln missbrauchen.
Dass Ursula Mecklenbrauck die Dinge oft aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und über den Tellerrand blickt, kommt nicht von ungefähr: Beide Elternteile arbeiteten in Koblenz als Richter, und so wurde am heimischen Familientisch viel über die Fälle gesprochen. „Meine Mutter hatte als Jugendrichterin mit jungen Straftätern zu tun, mein Vater war im Senat für Familiensachen am Oberlandesgericht.“ Die pragmatische Arbeitsweise der zwei habe schon auf sie abgefärbt, ruft sich die in Saarbrücken examinierte Juristin ins Gedächtnis. Zwei Leitsätze des Vaters beherzige sie heute noch: „Die Kirche im Dorf lassen“ und „Die Sache muss vom Tisch“. Auch die ältere Schwester sei für sie ein Vorbild – angefangen beim Wunsch der vorzeitigen Einschulung bis zur tatkräftigen Umsetzung von Zielen. Gefragt nach ersten Fortschritten in Krefeld wiegelt Mecklenbrauck charmant ab: „Ich will keine Erfolgsgeschichte erzählen, sondern Impulse geben. Die Sondereinsätze gegen illegales Glücksspiel im Rahmen des Präsenzkonzepts Innenstadt zeigen deutlich Wirkung. Dennoch wird ein Zustand, in dem Polizei gar nicht mehr notwendig sein wird, niemals erreicht werden können.“ Im Vergleich mit Städten wie Hagen, Hamm oder Mönchengladbach befinde sich Krefeld bei allen Zahlen im Mittelfeld.
„Kein Tag ist wie der andere“, beschreibt die Düsseldorferin, die täglich zum Nordwall pendelt, ihren Arbeitsalltag. Sie beginne zwischen sieben und halb neun Uhr mit einem Kaffee und der „täglichen Lage“, in der die Straftaten und Verkehrsunfälle der letzten 24 Stunden besprochen werden. Meist folgten zahlreiche Konferenzen, beispielsweise zum Sicherheitsprogramm, in dem jedes Jahr die strategischen Behördenschwerpunkte festgelegt werden. „Hier fließen landesweite Vorgaben wie das Thema Missbrauch von Kindern ein, zudem gibt es regionale Schwerpunkte. Ein Beispiel ist der Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität.“ Analog zu dem erwähnten 4-M-Prinzip, „man muss Menschen mögen“, übernehme sie Termine wie Beförderungen oder Verabschiedungen in den Ruhestand gern selbst. Es gehe letztendlich um wichtige Momente im Leben, begründet sie diese sympathische Entscheidung.
Bleibt bei so viel Einsatz überhaupt Zeit für Hobbys? Mecklenbrauck zählt mit leichter Ironie die üblichen Verdächtigen auf: „fein dosierte“ Gartenarbeit, Treffen mit Freunden sowie eine „Fördermitgliedschaft“ im Fitnessstudio. Ach ja, eine Grundausbildung beim THW absolviere sie gerade, um zu lernen, wie man Hydranten anzapft, Sandsäcke befüllt, Deiche baut oder Lasten mit Hydraulik bewegt. Ihr Faible für Technik kann die geerdete Verwaltungsexpertin jedenfalls nicht leugnen. Am Ende verrät sie noch, dass der „Abkürzungsfimmel“ der Polizei doch ziemlich nervig sei. So werde aus „Strafdaten zum Nachteil älterer Menschen – überregionale Täter“ einfach SÄM-ÜT. Ja klar. Dennoch hat sie keine Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidung: „Ich kann auf diesem Posten alt und glücklich werden“, hören wir zum Abschied.
Fotos: Felix Burandt